Kommen die Taschengeräte wieder in Mode? Taschenhörgerät 2.0

Blick in eine mögliche Zukunft:

Zurück zum Ursprung – und noch viel weiter….

Als ich 1993 mit der Ausbildung zum Hörgeräteakustiker begann waren Hinter-dem-Ohr Hörgeräte Standard. In-dem-Ohr Hörgeräte waren der neue Renner und ab und an war ein Kunde mit einem Taschengerät im Geschäft. Die ersten Fernbedienungen waren für Hörgeräte verfügbar und auch der Versuch ein Hörgerät als Ohrclip zu tarnen war gemacht. Hörgeräte an der Brille wurden ab und an gewünscht und auch verfügbar.

Nun 19 Jahre später sind Hinter-dem-Ohr Hörgeräte noch immer der Standard, In-dem-Ohr Geräte werden kleiner und sitzen tiefer im Gehörgang, Fernbedienungen sind mit Bluetooths-Schnittstellen ausgestattet und Hörbrillen bilden nach wie vor ein Schattendasein.

Also im Großen und Ganzen hat sich nicht viel getan. Das ist weit gefehlt! Der Wandel von analogen Hörgeräten zu digitalen Hörsystemen wurde vollzogen. Mit einigen Kinderkrankheiten die inzwischen ausgestanden sind und Einstellmöglichkeiten die vor 19 Jahren absoluter Science-Fiction gewesen waren. Das Sprachverstehen und der Hörkomfort, die Rückkopplungsbeseitigung und die Diskretion, die Farbvielfalt und die Leistung wurden mit jeder Generation weiter vorangetrieben und verbessert. Zusatzfunktionen und Multimediaschnittstellen sind hinzugekommen und viel mehr wäre möglich wenn die Energieversorgung und der Platzbedarf in den Griff zu bekommen wären.

Das Problem

  1. Derzeit Begrenzt der Stromhunger und der Platzbedarf der Bauteile die nächsten technischen Innovationen im Hörgerätemarkt. Zusätzliche Geräte werden verwendet um als Schnittstelle zu Handys zu dienen.
  2. Für jede Feinjustierung muss der Kunde in das Ladenlokal kommen, bzw. muss ein Hausbesuch gemacht werden.
  3. Durch die bisherige Bauformen und Entwicklung ist eine An- und Abwahl von Funktionen durch den Kunden nicht möglich. Die Hörsysteme werden mit einem spezifizierten Funktionsumfang geliefert und nur der Akustiker kann in seltenen Fällen auf ein besseres Softwarepaket upgraden. Funktionen die nicht benötigt werden müssen jedoch im Paket mit erworben werden. Neuentwicklungen sind erst bei einem Hörgeräteneukauf erhältlich.
  4. Hörgeräte haben eine Haltbarkeit von ca. 6 Jahren. Die größte Reparaturanfälligkeit liegt bei den Schallwandlern. Wenn die Schallwandler defekt sind wird oft zu einem neuen Hörgerät gegriffen, da das ganze Hörsystem ausfällt.
  5. Einstellungen von Hörsystemen werden bei dem Vertreibenden Akustiker gespeichert, der Hörgeräteträger hat keinen Zugriff auf dieses Backup. Bei einem Defekt ist er auf den Akustiker angewiesen.

Lösung

Die Prozessorleistung und Speicherhunger leistungsfähiger Programme und Berechnungen  für das Verstehen von Sprache und angenehmen Hören von Alltagsgeräuschen auf ein Gerät zu verlagern, das irgendwo am Körper getragen wird (z.B. in der Hosentasche). Wie früher das Taschengerät. (Dieses hing meist um den Hals.)

Die Schallaufnahme sollte weiter am oder im Ohr geschehen, damit der richtige räumliche Klang verwendet werden kann. Doch vom Mikrofonsystem zum „Taschengerät“ reicht eine Funkstrecke, ein Kabel wie bei den alten Taschengeräten ist auch möglich. Natürlich sitzt in dem Taschengerät ein guter Accu, der einfach in der Nacht wie das Handy aufgeladen wird.
Das neue Taschengerät reicht von der Prozessorleistung für die Verarbeitung der Signale von mindestens 2 Sendemikrofonsystemen aus. Das Taschengerät erhält die Signale vom rechten und linken  Mikrofonsystem, wertet die Informationen aus und überträgt die individuell verstärkten Signale zurück zu den Ohren, dort gibt ein Lautsprecher das empfangene Signal als Schall weiter zum Trommelfell ab.

Nun werden etliche weitere Möglichkeiten verfügbar.
Ausgestattet mit einer SIM Karte (Handykarte) ist das Hörsystem gleichzeitig ein Handy.
Das Taschengerät kann auch als „Fernbedienung“ genutzt werden, wobei das Taschengerät ja selbst bedient wird.
Die Entwicklung zum Simultanübersetzer, am Anfang noch mit Zeitverzögerung und eventueller Datenverbindung zum Übersetzungsrechner im Internet wird erreichbar.

In sehr schwierigen Situationen könnte dann auf reine Spracherkennung umgeschaltet werden und das Taschensystem überträgt nur die erkannten Worte, aber wenig bis keine Nebengeräusche (das Klangbild der Sprache wird hier jedoch verändert). Die Funktionen selbst sind auf dem Markt zu finden, doch in dieser Kombination bisher nicht verfügbar.

Die Schallortung wird deutlich verbessert, da zur Berechnung alle Mikrofonsignale verwendet werden können.

Eine Erweiterung des Funktionsumfangs durch Applikationen die hinzugeladen werden können wird ebenfalls integriert. So kann der Anwender einzelne für Ihn wichtige Funktionen erwerben, auch nachträglich und ohne nicht benötigte zusätzliche Funktionen mitzukaufen. Auch neue Funktionen können eingespielt werden, so dass der Träger auf dem aktuellen Stand der Technik bleiben kann.

Durch die Integration einer Mobilfunkverbindung kann ein Nachstellen durch den Akustiker durchgeführt werden ohne dass der Kunde das Geschäft aufsuchen muss. Das erspart Fahrtkosten und Zeit.

Durch die örtliche Trennung von den reparaturanfälligen Schallwandlern und der Hörprozessoreinheit (dem Taschengerät) kann bei einem Ausfall der Schallwandler schnell Abhilfe geschafft werden, denn ein Austausch der Hörer und Mikrofoneinheiten kann in wenigen Minuten erledigt werden.

Durch ein Backup der Höreinstellung auf einen beliebigen PC, kann die Hörgeräteeinstellung Akustikerunabhängig gespeichert werden.

Die Vorteile

Die Hörgeräte können mehr leisten und einen flexiblen Funktionsumfang besitzen da die Prozessorleistung und der Speicherplatz deutlich höher ist als bei allen vorhandenen Hörgerätemodellen.
Der Funktionsumfang des Taschengerätes kann optional und nach und nach erweitert werden.
Gewünschte Schnittstellen zu anderen Geräten können in dem Taschengerät integriert werden. Es ist keine separate Fernbedienung notwendig, da diese Funktion schon im Taschengerät eingebaut ist.
Die häufigsten Reparaturen können nun in einer sehr geringen Zeitspanne durchgeführt werden.
Eine Feinjustierung ist per Mobilfunk möglich.
Eine bessere Gleichstellung hörgeschädigter mit Normalhörenden wird erreicht.
Ein Backup der Einstellung ist jederzeit möglich.

Eventuell gehört den Taschengeräten die Zukunft auf dem Hörgerätemarkt. Vieleicht kommen andere Lösungen. Lassen Sie uns gespannt sein.

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Über Werner Eickmann

Seit 1993 arbeite ich in der Hörgeräteakustik. Als selbständiger Hörakustikmeister und Familienvater mit 4 Kindern nutze ich viel der wenigen freien Zeit für diese Homepage.

Hunde, Katzen, Hühner, Schafe und Meerschweinchen, sowie Axolotl, Fische und Wellensittiche sorgen für ein angenehmes akustisches Umfeld zu Hause, das ab und an durch Mundharmonika, Klavier und Gitarre bereichert wird.

Ein Hörgerät ist immer nur so gut wie die Fähigkeit des Akustikers. Wie gut der Akustiker jedoch seine Fähigkeiten ausspielen kann, legt die Technik des Hörgerätes fest.

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Ebenfalls tätig als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger im Hörakustik-Handwerk durch die HWK OWL zu Bielefeld. https://sv.eickmann.de